Für Selbständigkeit im alltäglichen Leben

Seit mehr als sechs Jahren leben Nisrin Kadir Alkhalo, ihr Mann Fouzi Hussein und die gemeinsamen Kinder Kiwan, Lavin, Ain und Rohiv in Emlichheim – und mittlerweile unterscheidet sich der Alltag der syrisch-kurdischen Familie nicht mehr von dem der „Einheimischen“: Alle Familienmitglieder haben die deutsche Staatsbürgerschaft, die Eltern stehen in Lohn und Brot, inzwischen besitzen sie sogar ein eigenes Haus. „Heimathafen“ ist dort im Flur zu lesen, darunter die geografischen Koordinaten von Emlichheim. Verschiedene Faktoren trugen zu dieser positiven Entwicklung bei: viel eigene Tatkraft, eine gute Portion Glück, die Unterstützung durch ehrenamtliche Helfer – und die Begleitung durch die hauptamtlichen Kräfte des Deutschen Roten Kreuzes.

Die Ambulante Flüchtlingsbetreuung des DRK in der Grafschaft hat seit Herbst 2015, als eine große Zahl Geflüchteter nach Deutschland kam, einen enormen Wandel erfahren: Startete man seinerzeit mit zwei Kräften und anderthalb Stellen, wuchs das Team bereits 2016 auf sechs volle Stellen an. Ziel war es von Anfang an, im Auftrag des Landkreises die verschiedenen Gemeinden zu entlasten. Die finanziellen Mittel sind zunächst für zwei Jahre bewilligt. Die Arbeit erfolgt Hand in Hand mit einer Vielzahl von Freiwilligen, die vielfach Patenschaften für die Neuankömmlinge übernehmen und ihnen mit Rat und Tat zur Seite stehen. „Die Geflüchteten befanden sich in einem neuen Umfeld, häufig gab es kaum bis keinen Kontakt zu Landsleuten oder Personen mit gleicher Muttersprache, die den Alltag in Deutschland hätten erklären können“, beschreibt DRK-Mitarbeiterin Heike Pfingsten die anfängliche Situation.

Auch die Familie von Nisrin Kadir Alkhalo und Fouzi Hussein hat von der ersten Stunde an mit dem Roten Kreuz zu tun. Als die Eltern und die Kinder am 29. September 2015 in Emlichheim ankommen, nimmt sich die damalige DRK-Sozialarbeiterin Eva-Maria Scholte-Albers ihrer an. Hinter der Familie liegt eine mehr als zweiwöchige Flucht, die sie mit Bus, Bahn, Boot und immer wieder auch zu Fuß zu bewältigen hatte. Tief sitzen noch die Erinnerungen an den Krieg in der Heimat, an ihr Dorf bei Aleppo, wo sie nachts nicht schlafen konnten wegen des Flugzeug- und Bombenlärms und sie eines Tages zu dem schweren Entschluss kamen: „Wir müssen hier weg.“ In Deutschland angekommen, fängt die Familie wieder bei Null an – auch sprachlich: „Wie ein Baby mussten wir ganz neu lernen, uns zu verständigen“, sagt Mutter Nisrin. Doch sie und ihr Mann legen sich ins Zeug: Wenn die Kinder abends im Bett sind, üben sie bis zu zwei Stunden mit Hilfe von „YouTube“ die deutsche Sprache. Und siehe da: Schon bald finden beide Arbeit – er bei einem Metallbetrieb, sie bei einem Physiotherapeuten.

In den Jahren 2017/18 ebbt die „Flüchtlingswelle“ zunächst ab. Es mehren sich allerdings sogenannte Dublin-Fälle, also Geflüchtete, die in anderen Ländern eine Ablehnung erhalten haben; ebenso kommen vermehrt Geflüchtete, die in ihrem ursprünglichen EU-Aufnahmeland keine Perspektive sehen. Im Zusammenspiel mit den weiteren hauptamtlichen Stellen und Kooperationspartnern, sowie dem Landkreis als Auftraggeber werden die Zuständigkeiten der DRK-Flüchtlingsbetreuung erstmals eingegrenzt und professionalisiert; die Finanzierung wird für ein weiteres Jahr bewilligt. Um 2019/20 zeichnet sich ein deutlicher Rückgang der Hilfe durch deutsche Ehrenamtliche ab. „Gleichzeitig leben in den Gemeinden zunehmend Personen, die 2015/16 angekommen sind, den Alltag hier kennen und den neu Zugewiesenen ihre Unterstützung zukommen lassen“, sagt Heike Pfingsten. Das Aufgabenfeld der Ambulanten Flüchtlingsbetreuung des DRK wird weiter eingegrenzt: So erfolgt etwa die Herausnahme der Personengruppe mit offizieller Anerkennung. Die Mittel werden allerdings für zwei weitere Jahre bewilligt. Erst 2021 wird die Zuwendung um ein Drittel gekürzt, die Zahl der Stellen um 2,5 reduziert.

Heike Pfingsten betont, dass die Arbeit der Ambulanten Flüchtlingsbetreuung, die seit 2015 unter dem Dach des DRK-Zentrums für Migration und Flüchtlinge organisiert ist, weiterhin von großer Wichtigkeit ist: „Das DRK berät Flüchtlinge in allen Fragen der Integration in der gesamten Grafschaft Bentheim. Dabei sind unsere Mitarbeiter nicht nur für die Geflüchteten wichtige Ansprechpartner, auch die Kindergärten, Schulen, Ärzte, Arbeitgeber und die ehrenamtlich Tätigen kommen mit ihren Fragen auf uns zu. Individuelle Problemlösungen vor Ort stellen einen großen Teil der aufsuchenden Arbeit dar. Dies geschieht sowohl in den Wohnungen als auch in den Gemeinschaftsunterkünften“, berichtet sie und erklärt weiter: „Unsere Flüchtlingssozialarbeit hilft und befähigt Neuzugewanderte zeitnah zu selbständigem Handeln in den Bereichen des alltäglichen Lebens.“ Neben der Ambulanten Flüchtlingsbetreuung gehören auch die Bereiche Suchdienst und Familienzusammenführung, Rückkehrberatung und die Führung eines Übergangswohnheims zum Aufgabenspektrum des DRK-Zentrums für Migration und Flüchtlinge.

Das Beispiel der Emlichheimer Familie zeigt, welche Früchte die Bemühungen tragen können. Fouzi Hussein arbeitet heute als Elektriker bei der Firma Jacob Leitungsbau in Hoogstede, zudem spielt er Fußball und trainiert die F-Jugend des SCU Emlichheim; Nisrin Kadir Alkhalo absolviert derzeit eine Ausbildung zur Sozialassistentin und ist ehrenamtlich bei der Emlichheimer Tafel „Initiative Brückenschlag“ tätig. Beide sagen: „Wenn Deutschland für uns seine Tür geöffnet hat, möchten wir auch etwas zurückgeben.“

Weitere Informationen zum DRK-Zentrum für Migration und Flüchtlinge sind unter www.drk-grafschaft-bentheim.de/fluechtlingshilfe/ zu finden.